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Backstage in der Atomküche - Ein genauer Blick auf die tschechische „Atomexpansion“

15.4.2024

Ein paar Informationen dazu, wie sich die teuren Reaktoren in ein Budget pressen und somit zur Seriosität des getrommelten AKW-Revivals. Was uns klar ist, ist dass penetrant auf allen Kanälen das Revival der Atomenergie getrommelt wird. Aber dass es nur aus heißer Luft besteht, muss man auch darstellen können. Daher ein genauer Blick auf die tschechische Atomexpansion, die man im Vergleich zu anderen noch immer als eine der seriösesten bezeichnen kann.

Die laufende Ausschreibung, die kurzerhand von 1-2 Reaktoren nun auf vier ausgeweitet wurde, ist sicherlich erstaunlich. Die 4 Reaktoren, für die nun ein Angebot zu legen ist, sind nun offiziell, wie die gemeinsame Presseaussendung des Betreibers ČEZ und des Industrieministeriums MPO am 4. April bestätigte. Darin heißt es: „ Das Unternehmen Dukovany II (ČEZ) verlängert den Termin für die Abgabe der aktualisierten Angebote für den 5. Block in Dukovany und des verbindlichen Angebots für weitere drei Blöcke – 6. Block in Dukovany und zwei in Temelín.“ Um die Verlängerung angesucht hat EDF, der französische Anbieter, und der tschechische Staat hat vertreten durch das  Industrieministeriums MPO empfohlen, diesem Ersuchen nachzukommen. Der Termin lautet nun 30. April 2024, der Zeitplan für das Projekt ändert sich nicht.“ Zur Erinnerung: Baubeginn 2029 und Probebetrieb bereits 2036. Nach Abgabe der nun verbindlichen Angebote für 4 Reaktoren will die Regierung entscheiden. Zu beachten ist die pausenlose Vermengung der Kompetenzen von Regierung und Betreiber.

Als Ende Jänner 2024 der Mitbieter Westinghouse (WEC) ausschied, hat sich Jaroslav Míl mit interessanten Betrachtungen zu Wort gemeldet. Einblicke hat er als ehemaliger Generaldirektor von ČEZ (2000-2003) und Bevollmächtigter für Atomenergie der Regierung sicherlich.

Er hält die Idee, einfach einmal mehr zu nehmen, nämlich vier Reaktoren für unrealistisch, auch wenn er die Errichtung von bis 5400 MW, wenn die 4 Blöcke von Dukovany (JEDU) stillgelegt werden, für nötig hält. Doch liegt nun in Brüssel eine Notifizierung für 1 Block vor und die Ausschreibung läuft für 1-2 Reaktoren.

Was Hr. Míl bei dieser Entscheidung auch nicht gefällt ist für ihn, der brav die Mär vom SMR (small modular reactor) predigt, als ob es diesen mit seinen magischen Eigenschaften bereits gäbe - inhärent passiv und daher ohne aktive Kühlnotwendigkeit, ohne Havariezone, modular hergestellt und zum Zusammenschrauben auf die Baustelle geliefert – der Verlust des Vorsprungs der Tschechischen Republik. Ihm schwebte die Weltmarktführerschaft vor, auch weil am Standort Temelín ein SMR bereits 2032 hätte laufen sollen. Das ginge nun nicht, wenn dort große Reaktoren hinkommen. Die Annahme, man könne ganz einfach auf den stillgelegten Kohlekraftwerkstandorten die SMR bauen,  sei falsch, denn viele Genehmigungen, vor allem bei Seismik und Geologie bis hin zur langwierigen UVP, die bis zu fünf Jahre dauern kann, liegen nicht vor.

Er betont, dass etwa 9000 Arbeitskräfte – teils sehr qualifizierte natürlich -  für 4000 MW benötigt werden.  Aber diese Leute gäbe es nicht und erklärt, dass er in einer Runde der Reaktorbauer mit seinen 65 der jüngste gewesen sei. Man brauche Leute, die auch wirklich an der Errichtung beteiligt waren. Die tschechische Republik schaffe nicht einmal den Bau von Autobahnen und dann sollen es gleich 4 Blöcke sein? „Wir können nicht einmal 9 km Autobahnanschluss errichten. Wer nicht in 10 Jahren gebaut hat, ist Anfänger. Gilt auf für ČEZ, denn da ist keiner mehr. Die Reaktorhersteller verfügen über solches Personal, aber schicken die diese auf die tschechischen Baustellen? Er verweist darauf, dass auch in der Verwaltung kompetente Leute fehlen, dass jetzt bereits alles verzögert ist, von der  Standortgenehmigung bis zur Ausschreibung und dem nachträglichen Sicherheitsfragebogen, in dessen Folge sich ČEZ über einen Zusatz zu den bestehenden Verträgen noch gegen weitere Kosten von Hunderten Millionen Kronen abgesichert hat.

Er sieht das Ausscheiden von Westinghouse sehr kritisch, denn man sollte Instabilität vermeiden, strikt nach den gesetzlichen Vorgaben über die öffentliche Vergabe vorgeben und klar den Investor Dukovany II das Verfahren führen lassen. D.h. dieser hätte bereits bei Vorlage des ungeeigneten Angebots das US Unternehmen WEC aus dem Bieterverfahren ausschließen müssen, nicht die Regierung später.

Es gibt die Mitbieter EDF und KEPCO die laut Jaroslav Míl in die Ausarbeitung der Angebote zwei Mrd. Kronen investieren. Wenn diese eine Möglichkeit erkennen, dass der Staat bzw, der Investor nicht ganz korrekt vorgegangen sind, können sie versuchen, diese Beträge zurückzufordern und fragt sich, wieso die Regierung Entscheidungen und Ankündigungen macht, wenn das die Aufgabe des Investors ist. Die Regierung sollte nach geltenden Verträgen aufgrund den von ČEZ vorgelegten Ergebnissen des Tenders nur betreffend Sicherheit, nationale Energiesicherheit und Technologie entscheiden.  

Was Jaroslav Míl aus seiner Sicht bereits Ende Jänner erklärte, war der Unterschied zwischen dem verbindlichen und damals noch unverbindlichen Angebot. Beim unverbindlichen würde der Anbieter der Reaktoren seitenweise Disclaimer anführen, wofür er nicht verantwortlich sein würde. Die wirkliche putzige Nachfrage des atombesessenen Moderators, dass die Firmen die Standorte doch kennen würden und somit auch verbindlich bieten können, brachte Jaroslav Míl zum Lachen. Denn diese haben den Standort nur besichtigt, während man ganz genau wissen müsse, etwa welche geologischen Verhältnisse, Anschlüsse und Wasserversorgung, Baustellenorganisation usw. vorliegen und dann auch Teil des Vertrages wären. Das ist bei den aktuellen zeitlichen Vorgaben gar nicht möglich, bei einem Monat Zeit für das verbindliche Angebot.

All das sind natürlich Grundlagen bzw. Ansatzpunkte für Rechtsstreitigkeiten.

Auch interessant ist die Vermutung Míls, wonach die Aktionäre von Westinghouse nach den Erfahrungen, die WEC bereits gemacht hat, nicht erlauben würden, dass die Verantwortung für weitere Mitglieder des Konsortiums übernommen werde und Bechtel wiederum nicht für WEC-Aktivitäten im Projekt geradestehen möchte. WEC wird nicht mehr bei Inbetriebnahme und deren nuklearer Sicherheit dabei sein, sondern die Reaktoren an dieser Stelle bereits dem Betreiber übergeben haben, was Míl als nicht im Interesse der tschechischen Seite bezeichnete. Zur Erinnerung: Die VVER-Reaktoren - wie etwa auch Mochovce jüngst - werden erst nach dem 144-stündigen Dauerbetrieb als Beweis der Betriebsfähigkeit in das Eigentum des Betreibers übergeben.

Die Finanzierung von vier Reaktoren bezeichnet er als unmöglich, wären dies 80 Mrd. Euro, die der  Staat nicht hätte und ČEZ sicher nicht selbst finanzieren würde. Zu den forschen Angeboten nach dem Prinzip Mengenrabatt erklärte er: “25% billiger, kein Problem, gebe ich ihnen gleich. Einigen wir uns dann eben auf mehr Disclaimer im Vertrag.“

Dann zitierte er aus Bedingungen eines Berichts des Finanzministeriums über die Finanzierbarkeit der Blöcke: Ein stabiles Budget über die nächsten 20 Jahre, Pensionsreform, kontinuierliches Wirtschafts-wachstum über die nächsten 20 Jahre, durchgehende Unterstützung durch die Regierungen, krisenfreie Entwicklung in Europa. In den letzten fünf Jahren trafen Europa die Migrationskrise, Coronakrise und der Ukrainekrieg mit seinen Folgen im Energie- und Wirtschaftsbereich, d.h. die Finanzierbarkeit ist mehr als unsicher.

Und am Ende noch eine Einladung: Wer noch nicht genug über die aktuellen Geschäftsbedingungen der Reaktorhersteller gehört hat, ist zum internationalen Workshop und der Nuclear Energy Conference (NEC 2024) im Juni in Prag herzlich eingeladen.
Kontakt: patricia.lorenz@foeeurope.org

Der Artikel wurde verfasst von Patricia LORENZ, bearbeitet von Renate Brandner-Weiß.


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