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EURATOM – ein unzeitgemäßes, fossiles Relikt

23.7.2021

Der vor 64 Jahren am 25. März 1957 geschlossene EURATOM-Vertrag war zur damaligen Zeit einer der ersten, der den Weg zu einem friedlichen, vereinten Europa ebnete. Er ist wichtiger Teil der sogenannten Römischen Verträge, die gewissermaßen die Geburtsstunde der EU darstellen. Damals hieß sie noch EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft). Das Ziel des EURATOM-Vertrags war, eine „mächtige Kernindustrie“ in Europa zu schaffen, zum Wohlstand und zum Wohlergehen aller Völker, wie es im typischen Überschwang der 1950er Jahre hieß.

Von allen europäischen Verträgen ist der EURATOM-Vertrag der beständigste und auch am längsten laufende. Als einziger aller europäischen Verträge ist er zeitlich unbefristet – der EGKS-Vertrag für zollfreien Handel mit Kohle und Stahl lief etwa 2002 nach 50-jähriger Laufzeit aus – und als einziger aller europäischen Verträge ist er nie mit der EU fusioniert. Damit stellt er eine eigene Rechtsgrundlage parallel zum EU-Recht dar. Der EURATOM-Vertrag genießt außerdem innerhalb der EU sogenanntes Primärrecht und liegt damit gleichauf mit der Charta der Grundrechte. Jenseits der Diskussion, ob die Entwicklung einer Nuklearindustrie überhaupt eine gute und notwendige Entwicklung war, hatte der EURATOM-Vertrag anfangs durchaus positive Effekte auf den europäischen Raum. Er brachte mit sich einen bedeutenden Modernisierungsschub und schuf vor allem eine Grundlage für gemeinsame, vernetzte Innovationen und führte verbindliche Sicherheitsnormen ein. Allerdings schwinden diese einstigen Vorteile im selben Maße, in welchem die Entwicklung der Energieproduktion sich im Zuge der drei großen Atomunfälle Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima mehr und mehr von dieser Technologie abwandte.

Denn da der Vertrag nie eine zeitgemäße Anpassung erfuhr, verfährt die Europäische Atomgemeinschaft immer noch wie in ihren Gründertagen: Sie stellt sicher, dass eine unverhältnismäßig teure und gefährliche Technologie weiterhin gefördert, finanziell unterstützt und vor allem möglichst wenig von außen (und damit unabhängiger Seite) reguliert und kontrolliert wird. Abgesehen davon, dass die Sicherheitsnormen nie zeitgemäß angepasst wurden. Die Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE) hat den EURATOM-Vertrag daher einer genaueren Analyse unterzogen und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. Sie wirft der Europäischen Atomgemeinschaft nicht nur Unzeitgemäßheit vor, sondern auch eine undemokratische Struktur. Sie hat mit den umwelttechnischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nicht Schritt gehalten und bindet jedes Jahr enorme Gelder in Milliardenhöhe für eine unverhältnismäßig teure, aufwändige und gefährliche Technologie. Dies verzerrt auch den wirtschaftlichen Wettbewerb im Energiesektor, denn EURATOM protegiert allein die Atomindustrie. Daneben wird kein ausreichender Strahlenschutz für die EU-Bürger*innen gewährleistet. Es gilt nach wie vor das schwammige und atomindistriefreundliche ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“: so gering wie vernünftig erreichbar), statt dem klareren und vor allem bevölkerungsfreundlichen ALAP-Prinzip („as low as possible“: so gering wie möglich). Hinzu treten intransparente Strukturen und Vorgehensweisen, etwa die Geheimhaltung von Expert*innen von Studien und Untersuchungen zum Strahlenschutz, auf die sich die Europäische Atomgemeinschaft in ihren Aussagen und Strategien stützt.

Besonders problematisch sieht die PLAGE jedoch die Tatsache, dass die EURATOM zwar als eigenständige Gemeinschaft mit einer eigenen Rechtsordnung (!) alle Organe mit der EU teilt, jedoch trotzdem keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Das EU-Parlament hat etwa kein Mitspracherecht beim EURATOM-Haushalt, erfüllt keinerlei Aufsichtsfunktion und hat „kein Mitsprache- bzw. Entscheidungsrecht bei der Verabschiedung von EU-Rechtsvorschriften im Bereich der Atomgesetzgebung, die auf dem EURATOM-Vertrag beruhen.“ (PLAGE-Analyse, S 17) Mit anderen Worten: die EURATOM kann im Wesentlichen tun und lassen was sie will. Sie spricht ihr eigenes Recht, entscheidet über ihr Budget und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Solange es zu keinem schweren Atomunfall in einem der Mitgliedsländer kommt...

Aufgrund all dieser festgestellten Mängel fordert die PLAGE „...das kompromisslose Ende von EURATOM! Der Vertrag muss aufgelöst und durch einen „Vertrag für Erneuer bare, Energieeffizienz und Energieeinsparung“ ersetzt werden. Falls eine Auflösung aufgrund der notwendigen Einstimmig keit nicht umsetzbar ist, fordern wir eine einzelstaatliche Kündigung des EURATOM-Vertrages.“ (PLAGE-Analse, S 23) Dieser Forderung kann nur laut und deutlich beigepflichtet werden! Denn in seiner jetzigen Form ist der EURATOM-Vertrag mehr ein Knebelvertrag, der selbst atomfreie EU-Mitgliedsländer wie Österreich zur Teilnahme an der Europäischen Atomgemeinschaft zwingt. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar! Ein entsprechendes Volksbegehren 2020 übersprang die nötige Hürde von 100.000 Stimmen, um zumindest im österreichischen Parlament besprochen zu werden. Auch in der Schweiz werden Stimmen laut, die einen Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag fordern. Solange die Europäische Atomgemeinschaft jedoch noch weitgehend im Verborgenen handeln und agieren kann, wird sich wenig an ihrer Politik der Ausbremsung der nötigen Energiewende ändern.

Quellen: • EURATOM-Analyse - Wortkraft - plage.at • Layout 1 (plage.at) • Switch Off : EURATOM. Auflösung des Schutz- und Fördervertrages für die Atomindustrie. Für einen echten Green Deal und eine faire Energiewende. - Ideen - Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit - Conference on the Future of Europe (europa.eu) • EUR-Lex - xy0024 - EN - EUR-Lex (europa.eu) • Europäische Atomgemeinschaft – Wikipedia


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